Wasserpark Dove Elbe in Ochsenwerder
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Artikel der Ausgabe: 04 / 2024

Wenige Bewohner, viel Natur

Über der Elbe schwebt noch ein Rest Morgennebel, während sich auf dem Gauerter Hauptdeich ein paar Schafe im Schein der aufgehenden Wintersonne eine Portion Gras zum Frühstück gönnen. Ochsenwerder liegt idyllisch, eingebettet zwischen Elbe, Dove Elbe, dem Naturschutzgebiet Die Reit und landwirtschaftlichen Anbauflächen für Gemüse und Blumen. „Kaum zu glauben, dass man mit dem Auto in nur 20 Minuten in der Hamburger Innenstadt ist“, findet unser Begleiter Arne Meyer, der uns heute seinen Stadtteil Ochsenwerder vorstellt.

Portraitaufnahme von Arne Meyer

Mit Arne Meyer durch Ochsenwerder.

Arne Meyer ist Inhaber der gemütlichen „Wein- und Friesenstube“ am Ochsenwerder Kirchendeich, die sich in seinem Elternhaus befindet. Der Vater von vier Kindern im Alter von 11 bis 32 Jahren ist hier aufgewachsen und schwärmt von seiner unbeschwerten Jugend am Deich. „Ich liebe in Ochsenwerder die Nähe zur Natur“, erzählt der gut aufgelegte 53-Jährige. Genüsslich atmet er tief die klare Luft ein. Fast täglich joggt der „eingeborene“ Ochsenwerderaner mit Blick auf den Fluss am Deich entlang oder fährt mit dem Fahrrad auf dem Elberadweg, der hier durch den mit knapp 3.000 Einwohnern nur dünn besiedelten Stadtteil führt.

Grüner Dschungel am Pastorenbrack

Unser Begleiter nimmt uns mit an die Schauplätze seiner Kindheit und zeigt uns einen kleinen grünen Dschungel rund um das Pastorenbrack, gleich gegenüber seines Elternhauses. Gemeinsam mit Freunden hat sich der lütte Arne hier mit Hilfe eines alten Fasses damals einen Weg durch die Brennnesseln am Ufer gebahnt. „Wir haben Höhlen gebaut und uns die tollsten Spiele ausgedacht“, erinnert er sich mit einem breiten Lächeln. Das Pastorenbrack bildet mit der 1674 eingeweihten St. Pankratius-Kirche und dem hübschen Fachwerk-Pastorat, beide Bauwerke stehen unter Denkmalschutz, den historischen Ortskern. Die Kirche enthält noch Inventar aus der Vorgänger-Kirche, wie zum Beispiel den prächtigen Altar des Hamburger Kunstschnitzers Hein Baxmann von 1633. Die Orgel von 1708 ist ein Werk des berühmten Orgelbaumeisters Arp Schnitger. Auf dem Friedhof neben der Kirche befindet sich mit einer über 800 Jahre alten Eibe ein immergrünes Naturdenkmal.

Schräg gegenüber der Kirche, im ehemaligen „Rieges Gasthof“ am Ochsenwerder Kirchendeich, haben sich vor ein paar Jahren junge und alte Menschen mit dem Mehrgenerationen-Wohnprojekt „Stadt.Land.Fluss“ einen Lebenstraum verwirklicht. In den Räumen des ehemaligen Gasthofs sind zwischenzeitlich 18 Wohnungen entstanden. Die Bewohner eint der Wunsch nach einem solidarischen Miteinander und die Lust auf ein nachhaltiges, selbstbestimmtes Leben.

Generationenübergreifendes Wohnen

„Im Ortskern gab es früher sogar eine kleine Einkaufsstraße mit Schlachter, Bäcker, Tabakladen und dem Kolonialwarenladen meiner Eltern“, erzählt unser Stadtteil-Guide. Bevor Arne Meyers Vater 1968 das Gasthaus eröffnete, versorgten der Kaufmann und seine Frau Irmi dort ihre Nachbarn mit allem, was diese für das tägliche Leben brauchten. Von den kleinen Geschäften hat nur die Bäckerei von Sybille Bahn am Eichholzfelder Deich überlebt. Zweimal in der Woche, samstags und montags, öffnet sie ihren kleinen Laden. Ein Angebot, das nicht nur wegen der frischen Brötchen und Kuchen beliebt ist, sondern auch, weil die Bäckerei ein beliebter Treffpunkt ist, um Neuigkeiten auszutauschen oder nachzuschauen, ob es neue Infos am Schwarzen Brett gibt.

Bäckerei öffnet montags und samstags

Nachdem wir den Ortskern verlassen haben, schweift unser Blick wieder über lange, schmale Entwässerungsgräben, Felder, Gewächshäuser und Hofanlagen. Während in Ochsenwerder, das zum Vier- und Marschlande gehört, früher hauptsächlich Getreide angebaut wurde, setzen die Landwirte heute auf Gemüse- und Blumenzucht. „Einige Betriebe haben auf Bioproduktion umgestellt und bieten ihre Produkte in Hofläden an“, verrät unser Begleiter. Im Sommer lockt der Hohendeicher See – auch bekannt als Oortkatensee – Erholungsuchende an. Auf dem 61 Hektar großen Gewässer können sie baden, angeln, paddeln und surfen ein. Erholung finden Besucher außerdem im Norden Ochsenwerders, wo die Gose Elbe fließt. Von Mai bis September tragen Ruderer auf der Regattastrecke Allermöhe ihre Wettkämpfe aus. „Von dort aus ist das Naturschutzgebiet Die Reit im Nachbarstadtteil Reitbrook nur einen Katzensprung entfernt“, so Meyer. Landeinwärts bietet der ehemalige Bahndamm der Marschbahn eine ideale Rad- und Wanderstrecke. Er ist seit einigen Jahren Bestandteil des Elberadwegs. Das Industriezeitalter machte den Bau der Bahnstrecke erforderlich, die von 1928 bis 1952 zwischen Geesthacht und Billbrook in Betrieb war.

Harte Jahre am Wasser

Die Eindeichung und Kultivierung von Ochsenwerder ist ab 1231 dokumentiert. Über Jahrhunderte waren die Wasserwege die wichtigste Verkehrsverbindung für die Menschen dort. Landwirte beförderten ihre Waren auf der Elbe zum Hamburger Großmarkt. Die Nachbarn aus Moorwerder, die selbst keine Kirche hatten, setzten für den sonntäglichen Gottesdienst mit dem Boot über die Elbe. Ab den 1920er-Jahren begann der Wege- und Straßenausbau, und die Produkte wurden zunehmend auf Rädern in die Stadt transportiert. Das Leben an der Elbe war für die Bewohnerinnen und Bewohner oft hart. Sie litten im Laufe der Jahrhunderte nicht nur unter diversen starken Sturmfluten, sondern auch unter unerwünschten „Gästen“. 1649 besetzten die Schweden die Gegend. Besonders schwer waren jedoch die Jahre der Franzosenzeit von 1806 bis 1814. In Ochsenwerder und den benachbarten Stadtteilen Tatenberg, Spadenland und Moorwerder gab es in vielen Häusern erzwungene Einquartierungen von Soldaten. Zudem waren die Orte 1813/14 direktes Kampfgebiet. Aber auch nach Kriegsende herrschte noch großes Leid. Die Bevölkerung war verarmt. Deiche, Dämme und Brücken waren stark beschädigt, die vernachlässigten Felder versumpft. Ein Segen war deshalb der Bau der Ent- und Bewässerungsanlage mit dem Pumpwerk am Ochsenwerder Norderdeich im Jahr 1924. Erstmals konnte der Landstrich zweckmäßig ent- und bewässert werden.

Unser Begleiter ist offensichtlich bekannt und beliebt im Ort. Überall schallt ihm ein freundliches „moin Arne“ entgegen. „In Ochsenwerder pflegen wir ein aktives Vereinsleben“, erzählt Meyer, während wir unseren Rundgang fortsetzen. Unter anderem würden die Freiwillige Feuerwehr, die Ochsenwerder Schützengemeinschaft, die Landfrauen und der Verein „Unser Dorf“ regelmäßig zu geselligen Veranstaltungen einladen. Wieder zurück am Gauerter Hauptdeich werfen wir noch einen Blick auf Hamburgs ersten Fußballgolf-platz, der 2015 eröffnete. Fußballgolf? „Bei dieser Sportart geht es deutlich rustikaler zu als beim herkömmlichen Golf“, erläutert unser Guide. Die Spieler benötigen keine Platzreife. Ein Fußball muss lediglich auf 18 Bahnen mit möglichst wenigen Schüssen eingelocht werden.

Rustikale Sportart Fußballgolf

Die ländliche Idylle zog zuletzt immer mehr Innenstadt-Bewohner in den Stadtteil. So baut die NCC Deutschland GmbH derzeit auf dem ehemaligen Gelände des Bildungs- und Informationszentrums des Gartenbaus am Ochsenwerder Landscheideweg 50 Einfamilienhäuser und 18 Doppelhaushälften. In diesem Jahr sollen nach jahrelangem Ringen mit Behörden und Naturschutzverbänden auch endlich die Bauarbeiten für das neue Quartier Butterberg starten.  Nordwestlich des Ortskerns, östlich der Ochsenwerder Landstraße, sollen neben Doppelhäusern und Mehrfamilienhäusern ein kleiner Park und ein Nahversorgungszentrum mit Seniorenwohnungen, einer Kita und einem Edeka-Markt entstehen.

Der Stadtteil wächst und verändert sich. Die neuen Nachbarn sind willkommen. So führte der große Festumzug der Ochsenwerder Schützengemeinschaft in diesem Sommer selbstverständlich auch durch die Neubausiedlung am Abelke-Bleken-Ring. Dort wurden die Schützen von den Bewohnern vor ihren bunt geschmückten Häusern herzlich mit einem kleinen Umtrunk begrüßt. Arne Meyer freut sich über den Zuwachs und begrüßt die geplanten Neubauprojekte. Die neuen Bewohner würden frische Ideen in den Stadtteil bringen. Das könne nur gut sein für Ochsenwerder und würde womöglich sogar dafür sorgen, dass die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln besser wird.

Ochsenwerder in Zahlen

  • Einwohner: 3.039
  • Fläche: 14,1 km²
  • Bev. mit Migrationshintergrund: 18,8 %
  • Wohnungen: 1.284
  • Sozialwohnungen: 21
  • Personen pro Haushalt: 2,2
  • Ø Wohnungsgröße: 116,3 m²
  • Ø Miete (Neuabschluss): 12,99 Euro/m²

(Quellen: Statistikamt Nord, Gymnasium Ohmoor)

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