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Artikel der Ausgabe: 04 / 2024

Koloniale Spuren

Relikte der Kolonialgeschichte finden sich an vielen Orten in der Hansestadt, die besonders stark von der Ausbeutung in Übersee profitiert hat.

Skulptur eines afrikanischen Kriegers vor dem Woermannhaus
Afrikanischer Krieger vor dem Woermannhaus. Foto: Volker Stahl

„In Hamburg starben für Kaiser und Reich“ ist auf einer Gedenktafel im Michel zu lesen. Gedacht wird der hanseatischen Soldaten, die in Afrika und China ihr Leben ließen. „Ehre ihrem Andenken“, heißt es dort. „Ehre“ für Kämpfer, die in deutschen Kolonien nationalpolitische und vor allem wirtschaftliche Interessen „mit Gewalt bis hin zum Völkermord an den Herero und Nama“ durchsetzten, wie Anna Prochotta schreibt? Die Historikerin findet es „skandalös“, dass hundert Jahre nach dem Völkermord mit geschätzt 90.000 Toten immer noch der Täter – und nicht der Opfer – gedacht wird.

Erst Ende der 1960er-Jahre thematisierten Studenten die Geschichtsklitterung, die Proteste verpufften ohne Wirkung. Als 2013 Herero-Aktivisten im Michel Fotos zeigten, die im deutschen Namen begangene Kolonialverbrechen dokumentierten, ließ Hauptpastor Alexander Röder die Bilder entfernen. Er argumentierte, auch die Gefallenen der Kolonialtruppen seien „Opfer“. – Nun ja: „Opfer“, die sich freiwillig zum Dienst gemeldet hatten! Noch im Jahr 2024 gibt es in Hamburg für die im heutigen Namibia Gequälten und Getöteten keinen Gedenkort im öffentlichen Raum.

Wie kaum eine andere Stadt profitierte Hamburg in Deutschlands Kolonialzeit. Noch heute sind im Stadtbild viele steingewordene Spuren der Ausbeutung fremder Menschen und Länder erhalten. Ein prominentes Beispiel ist das nach dem Kaufmann und Reeder Carl Woermann benannte Woermannhaus an der Großen Reichenstraße 27. Das um 1900 erbaute Kontorhaus ist bis heute Sitz der 1837 gegründeten Firma und wird von einer Plastik symbolisch bewacht – von einem mit Speer und Schild bewaffneten afrikanischen Krieger.

Die Woermanns stiegen früh in den Afrikahandel ein und schaufelten dank des Imports von Palmöl, Wildkautschuk und Elfenbein viel Geld. Handelspartner waren die zahlreichen kleinen Königreiche an Afrikas Westküste. Als Gegenleistung für die Rohstoffe gab es Schnaps. Mit dem bezahlten die Unternehmen die Plantagenarbeiter und schufen so Absatzmärkte für Hochprozentiges, das zwei Drittel aller Hamburger Exporte ausmachte. „Es trifft durchaus zu, dass Woermann damals der größte deutsche Drogenhändler war“, erzählen Stadtführer mehr als ein Jahrhundert später auf ihren „Branntwein, Bibeln und Bananen“ betitelten Rundgängen. Küstenstriche von 30 Kilometern Länge wechselten damals für einige Fässer Gin den Besitzer, skrupellose Kaufleute bohrten sich mit dem Suchtmittel sozusagen ins Landesinnere.

In der Bismarck-Zeit gaben vor allem Hamburger und Bremer Überseehöker der Kolonialpolitik entscheidende Impulse. 1873 stieg der Filius von Carl Woermann, Adolph, zum Teilhaber des Unternehmens auf und trat bereits im Folgejahr dem Deutschen Kolonialverein bei. Waren die meisten hanseatischen Handelsleute bis weit in die 1890er-Jahre überzeugte Anhänger des Freihandels und zeigten wenig Interesse am Erwerb von Kolonien, änderte sich das bald. Doch die uneingeschränkte Betätigung in Übersee stieß auf Grenzen, weil die ausländische Konkurrenz von ihren Regierungen geschützt wurde. Das ließ hierzulande den Ruf nach einer von oben gesteuerten deutschen Kolonialpolitik immer lauter werden. Aber die meisten Hamburger Senatsmitglieder waren zunächst skeptisch. Und Reichskanzler Bismarck fürchtete in erster Linie die hohen Kosten einer Annexion weit entfernter Gebiete.

Erst die Initiative des damals weltweit größten Privat-Reeders, Adolph Woermann, leitete die Wende ein. Der Sprecher der hanseatischen Handelsfirmen und nationalliberale Reichstagsabgeordnete hatte einen guten Draht zu Bismarck. Die Händler, die bis dato sozusagen als Privatkolonisatoren Plantagenbau betrieben, sahen ihre Besitzungen in Afrika und in der Südsee durch Engländer und Franzosen immer stärker bedroht und baten deshalb das Deutsche Reich erfolgreich um Schutz – mithilfe eines von der Handelskammer unter Woermanns Federführung angefertigten Gutachtens.

Die Folge: Deutschland erwarb Kolonien zuerst dort, wo es bereits Handelsniederlassungen gab. So zogen 1884 deutsche „Schutztruppen“ in Kamerun ein und schossen den Kaufleuten den Weg frei. Später überführte Woermanns Unternehmen mit Millionen-Gewinn die Truppen, die in „Deutsch-Südwest-Afrika“ die aufständischen Hereros in die Wüste trieben. Von 80.000 Menschen überlebten nur 13.000.

Nicht nur der Hafen und die Kaufleute profitierten Ende des 19. Jahrhunderts von den eingeschifften Produkten wie Kaffee und Kakao – um die Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kautschuk und Palmöl entstand auch eine ganze Industrie. Für einen „Farbtupfer“ sorgten Äthiopier, Singhalesen und Somalier, die in Hagenbecks „Völkerschauen“ präsentiert und begafft wurden.

Auch im Stadtbild führt der Kolonialismus ein „umkämpftes Nachleben“, konstatiert Anna Prochotta mit Blick auf das MARKK (früher: Völkerkundemuseum), das Hauptgebäude der Universität oder Denkmäler und Straßennamen. Es ist an der Zeit, dass die Stadt dieses unselige Kapitel seiner Geschichte endlich umfassend aufarbeiten lässt.

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