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Artikel der Ausgabe: 01 / 2025

„Wohnen entwickelt sich zum Armutstreiber“

Porträtaufnahme von Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands in Hamburg.
Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands in Hamburg. Foto: Jonas Walzberg für SoVD Hamburg

Über die angespannte Situation auf dem Hamburger Wohnungsmarkt sprach MJ-Redakteur Volker Stahl mit Klaus Wicher, Vorsitzender des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in Hamburg.

Ist das immer teurere Wohnen in Hamburg mittlerweile ein Armutsrisiko?

Hamburg ist eine wachsende Stadt, inzwischen leben rund 1,9 Millionen Menschen hier. Denen stehen allerdings nur gerade mal 78.000 Sozialwohnungen gegenüber. Es liegt also auf der Hand, dass es mehr Interessenten als Angebote gibt. Vor allem Singles, Alleinerziehende und Familien mit drei oder mehr Kindern, aber auch Ältere mit kleiner Rente finden keine passende Wohnung. Wohnen entwickelt sich immer mehr zum Armutstreiber.

Welche Klientel ist besonders betroffen?

Das hohe Mietpreisniveau trifft zuerst finanziell schwach aufgestellte Menschen. Sie sind überproportional davon betroffen. In unserer sozialrechtlichen Beratung erleben wir immer wieder, dass vor allem das Einkommen darüber bestimmt, wie und wo man wohnen kann. Besonders schwer haben es diejenigen, deren Einkommen kurz über dem Grundsicherungssatz liegt. Sie leben oft in Stadtteilen mit schlechterer Infrastruktur, weniger Ärzten und schlechterer Anbindung an den ÖPNV. Sie können meist nichts an ihrer Situation ändern, müssen aber alle Preisentwicklungen mitmachen. Da ist eine Mieterhöhung schnell ein Schlag ins Kontor. Ihnen hilft zwar das Wohngeld weiter, trotzdem müssen sie ihr tägliches Leben aus eigener Kraft hinbekommen. Das ist nicht immer einfach, denn vor allem für Lebensmittel muss man deutlich mehr ausgeben. Nicht von ungefähr sind die Tafeln in der Stadt überlaufen.

Wie viele Menschen in Hamburg gelten als arm?

Armut definiert sich über das Haushaltseinkommen und die daraus resultierenden Möglichkeiten an gesellschaftlicher Teilhabe. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, ist betroffen. In Hamburg gelten, konservativ gerechnet, 20 Prozent der Einwohner als arm. Berücksichtigt man die Kosten fürs Wohnen, haben noch mehr zu wenig Geld übrig – genau genommen ist es mehr als ein Viertel der Bevölkerung, also 497.000 Menschen in Hamburg.

Welche Gruppe ist am stärksten betroffen?

Vor allem Frauen. Fast die Hälfte der Alleinerziehenden sind damit konfrontiert, obwohl sehr viele davon arbeiten, mit 43 Prozent liegt Hamburg dabei über dem Bundesdurchschnitt. Ähnlich sieht es aus bei den Single-Frauen, hier leben vier von zehn am Rande des Existenzminimums. Aber auch junge Leute, die in der Ausbildung sind oder studieren, sind betroffen, mithin fast jeder Dritte. Und natürlich bedeutet auch Arbeitslosigkeit einen massiven finanziellen Einschlag, rund 61 Prozent haben zu wenig im Portemonnaie.

Wie kann Menschen in Notlagen geholfen werden?

Wer Sozialleistungen bezieht, für den übernimmt das Amt die angemessene Miete. Wer darauf keinen Anspruch hat, aber trotzdem nur über ein kleines Einkommen verfügt, kann Wohngeld beantragen. Sie können dann auch Leistungen zur Bildung und Teilhabe ihrer Kinder in Anspruch nehmen. Die Fachstelle für Wohnungsnotfälle kann eine erste Anlaufstation für Betroffene sein. Unter Umständen können Mietschulden vom Sozialamt oder Jobcenter in Form eines Darlehens übernommen werden, das allerdings auch von dem wenigen, was man hat, zurückgezahlt werden muss.  Alleinerziehende unterstützt der SoVD Hamburg außerdem mit Mitteln aus unserem Sozialfonds, aus dem wir Anschaffungen des täglichen Lebens finanzieren, wenn zum Beispiel die Waschmaschine kaputt ist.

Was fordern Sie von der Politik, um das Wohnungsproblem langfristig zu lösen?

Der SoVD Hamburg propagiert vor allem einen verstärkten sozialen Wohnungsbau. Die Stadt hat ja gerade angekündigt, diesen mit über einer Milliarde Fördergelder voranzutreiben. Insgesamt müssen wir sehen, wo wir optimieren können, auch bei den Geschosshöhen, die bis zu sechs Etagen haben könnten.

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