
Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser,
nach zwei Jahren der Auswertung liegen nun die Ergebnisse des Zensus 2022 vor. Demnach lebten am Stichtag 15. Mai 2022 in Hamburg 1.811.000 Menschen. Das sind gut 64.000 weniger als angenommen. Damit ist die Bewohnerzahl seit dem letzten Zensus 2011 nicht so stark gewachsen wie erwartet. Zur Verfügung standen zum Stichtag 985.422 Wohnungen, die im Schnitt 76,62 Quadratmeter groß waren. 77,1 Prozent oder 759.760 Wohnungen waren vermietet zum Preis von durchschnittlich 9,16 Euro je Quadratmeter. Der Blick auf die Zahlen lässt vermuten, in der Hansestadt gebe es genug Wohnraum für alle. 1,8 Personen könnten sich bei gleichmäßiger Verteilung eine doch ziemlich geräumige Wohnung leisten, 42 Quadratmeter stünden jeder und jedem zur Verfügung. Und pro Person 385 Euro Miete, das liegt deutlich unter der Angemessenheitsgrenze von 573 Euro, die für eine Person als Kosten der Unterkunft im Bürgergeld oder der Grundsicherung anerkannt werden. Gut, dieser Betrag versteht sich inklusive der kalten Betriebskosten, aber auch die finden lässig Platz im Gesamtbetrag.
Die Statistik täuscht – Wohnraum fehlt!
Dass die Welt anders aussieht als von der Statistik beschrieben, ist eine Binse. Darüber, wie sie tatsächlich ist und welchen Handlungsbedarf wir daraus ableiten müssen, besteht jedoch bei den betroffenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen keine Einigkeit. „Die Miete ist zu hoch“ und „Es gibt nicht genug Wohnraum“, sind Befunde, die vom Mieterverein mit aus meiner Sicht guten Gründen erhoben werden. Denn wir fügen den Daten des Zensus hinzu, dass rund die Hälfte aller Wohnungen von nur einer Person bewohnt werden. Außerdem sind nur 17 Prozent aller Wohnungen überhaupt Ein- bis Zweizimmerwohnungen. Deswegen liegt die durchschnittliche Fläche auch einer Singlewohnung über dem mittleren Durchschnitt. Das schmälert den Rest des Wohnraums, der zur Verfügung steht. Weitere Differenzierungen im Hinblick auf Belegung und Wohnungsgröße führen am Ende dazu, dass fast alle Gesuche auf Wohnungstauschbörsen eine kleinere gegen eine größere Wohnung bieten und nicht umgekehrt.
Und auch die Mieten sind stark unterschiedlich verteilt. Ob jemand acht oder 16 Euro pro Quadratmeter zahlt, hängt von vielem ab, unter anderem von der Dauer des Mietverhältnisses und wer die Wohnung vermietet hat. Zudem warten nach wie vor gut 20.000 Menschen auf ein Obdach in einer festen Wohnung, sei es, dass sie derzeit in Zelten oder Containern untergebracht sind oder ganz auf der Straße leben müssen. Hamburg ist die Hauptstadt der Wohnungslosen, ein trauriger Titel.
Hamburg ist Hauptstadt der Wohnungslosen
Unsere Stadtregierung müht sich, den von Zins- und Kostensteigerungen abgewürgten Wohnungsbau wieder anzukurbeln und feilt dazu vor allem an Rahmenbedingungen wie Genehmigungsprozessen und Baustandards. Wichtige Ansätze, die dennoch nicht das ganze Arsenal der Möglichkeiten nutzen. Denn bezahlbar bleibt Wohnraum vor allem dann, wenn er gemeinwohlorientiert bewirtschaftet wird, und das machen im Zweifel kommunale und genossenschaftliche Träger. Diese zu stärken, ist unsere Forderung für die herannahende Bürgerschaftswahl. Hieran müssen sich die Parteien messen lassen, die unsere Metropole regieren wollen.
Geben Sie uns Gründe, gemeinwohlorientierten Wohnungsbau zu fordern! Schreiben Sie uns, wie Sie wohnen, wie viele Personen auf welcher Fläche und zu welchem Preis. Erzählen Sie uns Ihre Wohngeschichte. Zeigen Sie, dass sich das ganze Kaleidoskop der Wohnschicksale nicht in einigen nüchternen statistischen Daten abbilden lässt.
Ihr Dr. Rolf Bosse
Vorsitzender MIETERVEREIN ZU HAMBURG