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Strategien gegen die Einsamkeit in der Metropole
Wie auf kleinen Inseln leben wir. Du weißt nicht mal, wer wohnt neben dir.“ Mit diesen treffenden Worten beschrieb schon vor rund 50 Jahren Udo Jürgens in dem Lied „Tausend Fenster“ die moderne Geißel der Menschheit: Einsamkeit in der Massengesellschaft. Auf die Auflösung der bäuerlichen Großfamilie folgte die Zerfaserung der städtischen Kleinfamilie mit Singles, Alleinerziehenden, isoliert lebenden Rentnern. Aber auch Jugendliche leiden unter Einsamkeit, obwohl doch gerade sie von der Werbeindustrie umgarnt werden. Die Realität sieht oftmals ernüchternd aus: Ein hoher Erwartungsdruck, etwas zu leisten, zu funktionieren, lastet schwer auf den Jüngeren, vor allem auf jenen, die nicht mithalten können und sich zurückziehen.
Einsamkeit, in der Literatur oftmals romantisch verklärt, macht krank. Das hat die Forschung schon längst herausgefunden. „Einsamkeit kann, insbesondere wenn sie chronisch wird oder über einen längeren Zeitraum andauert, vielfältige negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit von Menschen sowie auf die soziale Teilhabe und damit auf das gesellschaftliche Miteinander haben“, heißt es in einem Diskussionspapier des „Kompetenznetz Einsamkeit“ (KNE). Das KNE ist ein Projekt des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS e.V.) und wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
In der Studie „Epidemiologie von Einsamkeit in Deutschland“ listet Dr. Theresa Entringer die gesundheitlichen Folgen von sozialer Isolierung auf: „Einsame Menschen haben verglichen mit nicht-einsamen Menschen häufiger Schlafprobleme, ein höheres Risiko an koronaren Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder Herzinfarkten zu erkranken und insgesamt eine reduzierte Immunabwehr.“ Entringer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Vereinsamte würden häufiger unter Depressionen oder Angststörungen leiden und öfters zu Tabletten oder anderen chemischen „Helfern“ greifen.
Mittlerweile hat sich auch in der Politik die Erkenntnis durchgesetzt, dass Einsamkeit kein individuelles Problem darstellt, demzufolge sich die Betroffenen mal ordentlich „zusammenreißen“ müssten, sondern dass man es mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun hat. So fand am 19. Februar in der Hamburger Rathauspassage eine Kick-off-Veranstaltung des Bündnisses gegen Einsamkeit statt. Mehr als 30 Akteure sprachen unter anderem über Themen wie „Teilhabe“, „Nachbarschaft, Quartiere und Sozialraum“ und „Barrieren überwinden“. Am 26. Mai 2025 geht es weiter mit der vierten Konferenz zum Thema „Gemeinsam aus der Einsamkeit“ in Berlin. Veranstalter ist wieder das „Kompetenznetz Einsamkeit“ in Kooperation mit dem Familienministerium. Die Veranstaltung bildet zudem den Auftakt zur gleichnamigen Aktionswoche, die vom 26. Mai bis 1. Juni stattfindet.
Auch in den Leitungsetagen von Wohnungsgesellschaften hat offenbar ein Umdenken stattgefunden, demzufolge chronische Einsamkeit auch das Zusammenleben in den anonymen Häuserblöcken erschwert. Laut der Studie „Wohntrends 2040“ komme der Wohnungswirtschaft im Kampf gegen die zunehmende Vereinzelung eine Schlüsselrolle zu. So beteiligt sich die Stiftung der Gemeinnützigen Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG am „Bündnis gegen Einsamkeit“. Unter dem Slogan „Wir tun was gegen Einsamkeit“ gab es 2024 am Tag der Nachbarn in Mümmelmannsberg einen „Mitbring-Brunch“ und im Juni die Aktion „Lust auf Kuchen zu zweit?“ Ziel sei es, „präventive Maßnahmen gegen Vereinsamung und Einsamkeit zu entwickeln“, heißt es in einer Erklärung der Stiftung.
In diese Richtung zielt offenbar auch das Projekt „LeNa“ der städtischen SAGA. „LeNa“ steht für „Lebendige Nachbarschaft“, das die Wohnungsgesellschaft unter anderem am Kroonhorst am Osdorfer Born etabliert hat. Auf der Fläche einer ehemaligen Auto-Abstellanlage entstand ein öffentlich geförderter fünfgeschossiger Neubau mit 78 barrierefreien Zwei- und Drei-Zimmer-Wohnungen. Neun Wohnungen sind rollstuhlgerecht konzipiert. Laut einer Analyse sind rund 20 Prozent der Bewohner der Großsiedlung über 60 Jahre alt, jeder Fünfte bezieht Grundsicherung im Alter, kann also mit seiner Rente keine großen Sprünge machen. Teure Veranstaltungen sprengen das Budget. Darauf hat man sich vor Ort eingestellt.
Mit „LeNa“ will die SAGA nachbarschaftliche Aktivitäten fördern wie etwa ein weitgehend selbstorganisiertes Frühstück im Gemeinschaftsraum, wo man sich auch zum Schachspielen oder Malen treffen könne. Auch Tai-Chi-Kurse werden angeboten. Ziel sei es, „eine informelle Hilfskultur zu schaffen“, teilte das Unternehmen mit. „Hiermit sind sowohl die informelle als auch organisierte Nachbarschaftshilfe gemeint“, erläuterte SAGA-Pressesprecher Michael Ahrens. „Bei der informellen Nachbarschaftshilfe handelt es sich um spontane Hilfsleistungen, wie etwa dem Blumengießen im Urlaubsfall oder der Ausleihe von Werkzeugen. Bei der organisierten Nachbarschaftshilfe ist die Unterstützungsleistung stabiler und konstanter. Dazu gehören beispielsweise regelmäßiges gemeinsames Einkaufen oder Begleitung zu Arztbesuchen. Die Nachbarschaftshilfe findet sich spontan oder kann über die Projektkoordination oder das Nachbarschaftsbüro organisiert werden.“
Das Projekt „LeNa“ werde positiv angenommen, so der SAGA-Sprecher: „Viele Bewohnerinnen und Bewohner hatten zuvor oft allein in nicht barrierefreien Wohnungen gelebt und konnten nur eingeschränkt am sozialen Leben teilnehmen.“ Dies sei bei „LeNa“ anders: Kurze Wege und Aktivitäten im Haus ermöglichen Teilhabe und Nachbarschaft. Zudem wird berichtet, dass man seine Interessen und Hobbys aktiv einbringen könne, etwa im Rahmen einer Mal- oder Sportgruppe vor Ort.
Auch die Wohnungsbaugenossenschaft KAIFU hat der Einsamkeit den Kampf angesagt und organisiert für ihre Mitglieder Ausflüge und Besichtigungen. Weniger spektakulär, dafür aber wirksamer gelten selbst organisierte Aktionen wie die Reparatur von Fahrrädern, gemeinsames Malen oder Fotografieren. Es gehe darum, Mitglieder zusammenzubringen: „Die überlegen dann gemeinsam, was sie in den Quartieren unternehmen können.“ Dabei werde vor allem berücksichtigt, dass viele Ältere von wenig Geld leben müssten, sodass die meisten Veranstaltungen kostenlos seien oder nur eine geringe Gebühr erhoben werde.
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