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Über Lichtverschmutzung sprach MJ-Redakteur Volker Stahl mit Professorin Carolin Liedtke, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg lehrt.
Ist Licht der neue Lärm?
Ja, in gewisser Weise schon. Ich würde es einschränken auf ‚unnötiges Licht‘, denn Lärm ist die belästigende Wirkung von Tönen und Geräuschen und nicht zum Beispiel die Musik selbst.
Laut einem von der Uni Padua erstellten Weltatlas leiden 99 Prozent der Menschen in Europa und den USA unter lichtverschmutztem Himmel. Mit welchen gesundheitlichen Auswirkungen?
Forschende und eine immer breitere Masse der Bevölkerung kennen den Zusammenhang zwischen Licht und unserer ‚Inneren Uhr‘. Licht, vor allem Tageslicht, ist der maßgebliche Zeitgeber für unsere Uhr, an der sich in uns alle periodischen Prozesse wie Wachstum, Erholung, Verdauung, Hormon-ausschüttung usw. orientieren. Licht in der Nacht stört unsere ‚biologische Nacht‘ und damit unsere wichtige Ruhe- und Regenerationsphase. Kurzfristig schlafen wir schlecht und sind nicht ausreichend erholt, mittelfristig gerät unser Tag-Nacht-Rhythmus durcheinander. Langfristige gesundheitliche Folgen sind schwer nur auf einen einzelnen Faktor wie Lichtverschmutzung zurückzuführen. Studien zeigen jedoch den Zusammenhang zwischen einer Störung des circadianen Rhythmus, zu der das nächtliche Licht beiträgt, und verschiedenen Arten von Krebs beispielsweise.
Eine weitere Folge ist das Insektensterben …
Es ist nicht nur das Insektensterben, auch wenn dies allein schon dramatisch genug wäre. So wie Licht uns Menschen steuert, steuert es evolutionsbedingt alle Lebewesen auf der Erde, das schließt zum Beispiel Pflanzen mit ein. Nächtliches Licht hat große Auswirkungen auf alle Pflanzen und vor allem nachtaktiven Tiere, deren Habitat wir räumlich und zeitlich enorm einschränken, beispielsweise Flug- und Jagdrouten und Zeiten, die für Nahrungssuche und Reproduktion zur Verfügung stehen. Wir schädigen mit nächtlichem Licht maßgeblich vor allem den Anfang unserer eigenen Nahrungskette.
Fassadenstrahler, abendliche Sportveranstaltungen und Feste, Werbeflächen – die Beleuchtung wird immer inflationärer. Müssen wir langsam auf die Bremse treten?
Ja! Und zwar besser heute als morgen. Ich werbe für die Idee eines Lichtbudgets. Wenn eine Stadt wie Hamburg sich eines setzen würde, also die Menge, wie viel Licht sie pro Nacht, pro Fest oder pro Jahr ausstrahlen kann und will, dann könnte man entsprechende Schwerpunkte setzen und Ziele vereinbaren. Wir brauchen als Stadtgesellschaft einen Diskurs darüber, welches Licht für uns wichtig ist und welches nicht.
Stichwort Eventtechnik: Sind die illuminierte Speicherstadt, Aktionen wie ‚Hamburg leuchtet pink‘ oder die Projekte des Lichtkünstlers Michael Batz aus der Zeit gefallen?
Stichwort Lichtbudget. Licht ist ein Lebensmittel für uns, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir brauchen nicht nur Licht für unsere Sicherheit, sondern es ist auch Kulturgut für uns und es ermöglicht uns viele Aktivitäten außerhalb der Verfügbarkeit des Tageslichts. Wir sollten es sinnvoll einsetzen, wo es für uns gut ist und an anderen Stellen dafür sparen.
Die größten Lichtsünden?
Meiner persönlichen Meinung nach ist es das privatwirtschaftliche kommerzielle Licht zum Beispiel in Schaufenstern und Lichtwerbeanlagen in der Zeit von 22 bis 6 Uhr. Selbst Imbisse und Tankstellen mit längeren Öffnungszeiten sollten maßvoller beleuchtet sein, das wird aber kaum reguliert. Das ist für mich unnötiges Licht.
Gibt es für den öffentlichen Raum innovative Lichtkonzepte?
Ja, schon seit Jahren. Allerdings sind sie noch zu selten umgesetzt. Es ist längst möglich, Licht in vielerlei Hinsicht zu steuern – zum Beispiel die Helligkeit in Abhängigkeit der Dämmerung oder Uhrzeit, ebenso die Lichtfarbe oder die Abstrahlgeometrie. Wir könnten auch anwesenheitsorientiert Beleuchtung steuern, wenn entsprechende Faktoren berücksichtigt werden.
Fehlt den Kommunen in Sachen Licht die Kompetenz?
Die Menschen, die für die Stadt Hamburg im Bereich Licht arbeiten, haben zweifelsfrei eine hohe Kompetenz. Die Politik unterschätzt allerdings meiner Einschätzung nach maßgeblich den personellen Aufwand für eine gute öffentliche Beleuchtung. Mit der Einführung der LED sparen wir zwar enorm Energie, aber die richtige Beleuchtung an einem entsprechenden
Ort in Hamburg zu planen, kann höchst komplex sein und braucht mitunter eine Einzelfallbetrachtung. Das ist im Moment nicht zu leisten.
Welche technischen Entwicklungen machen Hoffnung?
Aus meiner Sicht haben wir längst alle technischen Voraussetzungen. Wir bringen sie nur nicht auf die Straße. Dies ist meines Erachtens bedingt durch ungenügendes Bewusstsein in der Politik und eine entsprechend fehlende Ausstattung mit Ressourcen als Folge. Das Thema gehört endlich auf die Agenda von Politik und Verwaltung.
Welche Städte liegen bei der Vermeidung von Lichtverschmutzung vorne?
In Deutschland nehmen sich immer mehr Städte des Themas an. Hervorzuheben sind Städte, die sich dem Thema unter anderem mit einem Lichtmasterplan widmen wie Köln und Leipzig. Andere, vor allem kleinere Kommunen, verschreiben sich dem hohen Anspruch, eine Sternenstadt – Fulda – oder ein Sternenpark – Spiekeroog – gemäß der Internationalen Dark-Sky-Assoziation zu sein. Und es gibt weitere unzählige Maßnahmen in engagierten Kommunen.
Hat der Gesetzgeber auf die Licht-problematik bisher angemessen reagiert?
Was bedeutet angemessen und wer ist der Gesetzgeber? Die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes (§41a BNatSchG), auf dessen Umsetzungsverordnung wir aktuell warten, ist ein bedeutender Schritt auf Bundesebene. Bundesländer wie Baden-Württemberg haben mit ihrem 2023 novellierten Naturschutzgesetz (§21 NatSchG) gezeigt, dass Hamburg nicht zu warten bräuchte, verbindliche Regeln oder Gesetze zur Eindämmung der Lichtverschmutzung zu erlassen.
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