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Artikel der Ausgabe: 03 / 2024

Im Dienst der Gerechtigkeit

Portraitaufnahme von Tanja Chawla
Tanja Chawla ist seit 2021 Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hamburg. Foto: privat

Im Porträt: Tanja Chawla, Hamburger DGB-Vorsitzende

Als Kind hat die in der schleswig-holsteinischen Provinz aufgewachsene Tochter eines „Ausländers“ und einer Deutschen Ausgrenzung erlebt, als Jugendliche engagierte sie sich gegen Rassismus, Diskriminierung und Krieg und entwickelte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Aufgrund dieser Erfahrungen ist eine Karriere als Gewerkschafterin zwar nicht vorprogrammiert, aber auch nicht überraschend: Tanja Chawla kam nach dem Abbruch des Gymnasiums nach der elften Klasse und einer Ausbildung als Erzieherin über Umwege zu akademischen Ehren, machte dann auf der Überholspur Karriere. Im November 2021 wurde sie zur Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Hamburg gewählt.

Ihre persönliche Geschichte beginnt an der rauen Nordsee. „Als Tochter eines indischen Vaters gab es diverse Erlebnisse, die früh meinen (Un-)Gerechtigkeitssinn formten. Beispielsweise wurde mir durch die Klassenlehrerin in der Grundschule untersagt, als Tochter eines ‚Ausländers‘ neben dem Arztsohn zu sitzen“, erzählt Tanja Chawla. So habe sie früh gelernt, sich für eigene Belange einzusetzen, kollektive Prozesse zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen, beispielsweise als Klassensprecherin am Gymnasium. Dass sie dieses nicht beendete, erklärt sie mit der Wahl des falschen Leistungskurses Erdkunde. Statt Erkenntnisse über die Ursachen der Ungerechtigkeit des Weltwirtschaftssystems zu bekommen, lernte sie etwas über Wolkenformationen. Das war nicht ihr Ding, also absolvierte sie eine Lehre als Erzieherin in Hamburg.

Den Umzug in die Großstadt erklärt die 1974 in Heide Geborene so: „Im ländlichen Raum aufzuwachsen hatte sicherlich gewisse Vorzüge, wenn ich an unsere Freiheiten denke, die wir als Kinder spielend in einem kleinen Dorf auf der Straße mit den Schulfreunden und Schulfreundinnenhatten. Dennoch hat es mich in die Großstadt gezogen, weil ich die Vielfalt und das pulsierende Leben in Hamburg mit den kulturellen, politischen und sozialen Angeboten als sehr anziehend empfunden habe.“ Das bedeute aber nicht, dass sie heute nicht gerne ihre Mutter in Dithmarschen besucht, betont Chawla.

Politisiert wurde sie als Jugendliche durch den Zweiten Golfkrieg, die Wiedervereinigung und die rassistischen Angriffe auf die Asylbewerberunterkünfte in Rostock. „Wir diskutierten in der Schule und im Jugendzentrum viel über Krieg und Frieden, über Solidarität, aber auch über soziale Ungleichheit und Kapitalismus.“ Es blieb nicht beim Theoretisieren. Schon früh drängte es sie zum Handeln – sie half bei der Organisation von Friedensdemonstrationen und antirassistischen Unterstützungsangeboten für das örtliche Asylbewerberheim. Ihre Ausbildung zur Erzieherin und das Studium der Volkswirtschaftslehre, Sozial-Ökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und der Entwicklungsökonomie in London hätten zu einer „breiteren politischen Perspektive“ beigetragen, sagt Chawla.

Es folgten Erwerbstätigkeiten als Assistentin einer Bürgerschaftsabgeordneten („sehr spannende Erfahrung für direkte Einblicke in die politischen und parlamentarischen Abläufe“), Forschung und Lehre an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Einstieg beim DGB als Gewerkschaftssekretärin, wo sie seit 2016 für die Bereiche Sicherheitsdienstleistungen und Zeitarbeit zuständig war. „Durch den Eintritt in das Arbeitsleben war ziemlich schnell deutlich, dass es die Gewerkschaft an der Seite braucht – sowohl für den Tarifvertrag als auch für gute Arbeitsbedingungen“, blickt Chawla zurück. Als DGB-Chefin sieht sie ihr Hauptanliegen darin, „Hamburg zur Stadt der guten Arbeit und des guten Lebens und Wohnens für alle werden zu lassen, die sich durch Zusammenhalt und Solidarität auszeichnet“.

Tanja Chawla auf einer Bühne einer Kundgebung
Auf Demonstrationen und Kundgebungen fühlt sich Tanja Chawla Zuhause. Schon als Schülerin half sie bei der Organisation von Friedensdemonstrationen. Foto: DGB Hamburg

Wohnen – gutes Stichwort! „Der Mieterverein und der DGB sitzen örtlich nah beieinander und sind es inhaltlich ebenso“, sagt sie. „Wir sitzen unregelmäßig regelmäßig zusammen, und ich schätze die Bündnisarbeit sehr. Das Thema Wohnen steht natürlich auch für uns als Gewerkschaften oben auf der Agenda.“ Wer gut verdiene, könne sich Wohnen noch leisten, sagt Chawla, aber inzwischen stünden selbst Menschen mit mittleren Einkommen oft vor einer großen Herausforderung, insbesondere dann, wenn sich die Wohnverhältnisse verändern. „Deswegen brauchen wir ein grundlegendes Umdenken, einen Mietenstopp, die Intensivierung des Wohnungsbaus und steigende Einkommen.“

Auch sonst positionieren sich der DGB und Chawla, zum Beispiel auch in Sachen AfD: „Weil neben dem nationalistischen und rassistischen Weltbild auch die beschäftigungspolitischen Ansätze der AfD diametral entgegen gewerkschaftlichen Positionen stehen, haben wir in Hamburg innerhalb des DGB seit 2019 einen Unvereinbarkeitsbeschluss und lehnen eine Zusammenarbeit deutlich ab!“ Auch zum Ukraine-Krieg hat Chawla eine klare Position: „Ich gehöre zu denen, die auch mit dem Spruch ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ sozialisiert sind. Hier braucht es internationale Diplomatie, denn die globalen Ungleichgewichte werden nicht über ständige Rüstungswettläufe zu klären sein.“

Neben der Politik gibt es aber auch das private Leben. Und das sieht bei Tanja Chawla so aus: Sie lebt mit ihrer Frau in einem selbstverwalteten Wohnprojekt, besucht die „Elbe“, das Café der Hanseatischen Materialverwaltung im Jupiter mit einem „fantastischen Blick über die Stadt“, und betrachtet die Alster gerne vom Kajak aus. Gelesen hat sie zuletzt „Die Arbeiterin“ von Didier Eribon – und da wird es wieder politisch: „Das Buch wirft viele Fragen und Gedanken zum Thema Altern auf und zu den Herausforderungen, vor denen pflegende Angehörige im heutigen Pflegesystem stehen.“

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