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Artikel der Ausgabe: 04 / 2024

Die Mobilitätskoordinatorin

Portraitaufnahme von Kirsten Pfaue
Foto: Behörde für Verkehr und Mobilitätswende

Im Porträt: Kirsten Pfaue, Leiterin des Amts Mobilitätswende Straße

Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent der Wege in Hamburg im Umweltverbund zurückgelegt werden – sprich: mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Stadt Kerstin Pfaue, Chefin des Amts für die Mobilitätswende Straße, eingestellt. Dieser Job verlangt viel Fingerspitzengefühl, weil sie unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen muss.

Ihre Begeisterung zum Fahrrad entflammte früh. Zum Radfahren sei sie gekommen, weil sie „freiheitsliebend“ war und „nach Unabhängigkeit strebte“, erzählt Kerstin Pfaue. Auch interessierte sie sich schon in jungen Jahren für andere Länder. Was lag also näher, als diese Leidenschaften miteinander zu kombinieren? Während andere Teenager Europa mit einem Interrail-Ticket erkundeten, schwang sich Pfaue aufs Fahrrad. Radelnd in eine französische Stadt zu kommen und einen Croissant auf einem französischen Marktplatz zu essen, sei ein einmaliges Erlebnis gewesen, sagt die gebürtige Hamburgerin.

Kirsten Pfaue studierte Jura und organisierte für einen Reiseanbieter Radtouren in Frankreich, später die Strecke Hamburg – St. Petersburg in drei Etappen. Dafür gewann sie sogar einen Tourismuspreis. Politisch engagierte sie sich für die nichtmotorisierte Fortbewegung im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), dessen Hamburger Landesvorsitzende sie von 2010 bis 2014 war.

2015 wurde Kirsten Pfaue in der Hansestadt zur ersten Radverkehrskoordinatorin ernannt, um das „Bündnis für den Radverkehr“ umzusetzen. Der Bereich wurde 2018 um die Verkehrskoordinierung erweitert, „um bei der Umsetzung von Bauprogrammen durch verschiedene Realisierungstragende des Bundes und der Stadt Hamburg die verkehrlichen Wechselwirkungen und die Belange der Baustellenkoordinierung in der Stadt und der Metropolregion im Blick zu haben“, umschreibt es eine behördliche Mitteilung. Heute leitet Kirsten Pfaue das „Amt Mobilitätswende Straße“, bei dem auch die Interessen der Fußgänger berücksichtigt werden. „Mir ging es immer darum, die Menschen zu vernetzen“, sagt sie zu ihrer anspruchsvollen Tätigkeit.

„Der Hamburger Senat strebt an, bis 2030 den Anteil der Wege, die über den Umweltverbund zurückgelegt werden, auf 80 Prozent zu erhöhen“, skizziert Pfaue das Kernanliegen der Mobilitätswende. Konkret sieht die Zielsetzung für 2030 folgendermaßen aus: 20 bis 25 Prozent der Wege sollen zu Fuß zurückgelegt werden, 25 bis 30 Prozent per Fahrrad und 30 Prozent mit Bus und Bahn. Um dieses Ziel zu erreichen, plant Hamburg verschiedene Maßnahmen: Ausbau der Infrastruktur, Bau von 35 neuen U- und S-Bahnhöfen, Erweiterung des U- und S-Bahnnetzes, die Infrastruktur des Fuß- und Radverkehrs soll verbessert werden. Pfaue erinnert an das „übergeordnete Ziel der Mobilitätswende“, nämlich die CO2-Emissionen des Hamburger Stadtverkehrs bis 2030 zu reduzieren. Dabei hat die Elbmetropole im Vergleich mit anderen europäischen Städten noch reichlich Nachholbedarf, wie Pfaue konstatiert: „Kopenhagen und Odense, Amsterdam und Utrecht sind gute Vorbilder für den Radverkehr. Nach Wien schauen wir wegen der sehr guten Förderung des ÖPNV.“

Leiterin des Amts Mobilitätswende Straße Kirsten Pfaue mit einem roten Fahrrad

Auf die Frage, warum ihre Stimme als oberste Herrin der Mobilitätswende in der Öffentlichkeit kaum vernehmbar ist, antwortet Pfaue: „Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist, Entscheidungen im Bereich der Mobilität akteursübergreifend herbeizuführen, Lösungen bei komplexen Gemengelagen zu erreichen und Kompromisse zu finden.“ Sie kommuniziere täglich vertrauensvoll mit Interessensgruppen, anderen Behörden, den Bundes- und Landesrealisierungsträgern und koordiniere eine Vielzahl von Maßnahmen. „Dazu passt es nicht, den öffentlichen Diskurs zu führen“, sagt die in der Streitschlichtung und Mediation erfahrene Anwältin.

Als wichtiges Anliegen gilt ihr die Stärkung des Fußverkehrs: „Der hat ein riesiges Potenzial für die Mobilitätswende in unserer Stadt. Wir haben erstmalig eine Karte zu dem erwartbaren Fußverkehrsaufkommen herausgegeben. Damit haben wir jetzt ein datenbasiertes Fundament gelegt – in Deutschland mangelt es bundeslandübergreifend an Zählungen, validen Daten und Methodiken.“ Die Karte offenbart Entwicklungspotenziale und ermöglicht den Verkehrsplanern gezielte Entscheidungen, um die Erreichbarkeit von ÖPNV-Haltestellen und zentralen Orten zu verbessern. Dazu gehört der Ausbau der Gehwege, die Schaffung von mehr barrierefreien Übergängen sowie taktile Leitelemente und Bänke zum Verweilen. Mit Erfolg: 2023 hat die Stadt 93 Kilometer Wege für den Fußverkehr neu gebaut oder saniert.

Die Frage nach Hamburgs attraktivster Radstrecke beantwortet sie so: „An der westlichen Seite der Außenalster entlang radeln. Startpunkt an der U-Bahn Hudtwalckerstraße, dann durch den Leinpfad, über die Krugkoppelbrücke Richtung Jungfernstieg.“ Ihre Lieblingsorte sind die Oberhafenkantine, die Haifischbar und die Brücke 10 beim Alten Elbtunnel. Ihre Freizeit verbringt Kerstin Pfaue am liebsten mit ihrer Familie, geht mit der Tochter ins Theater oder backt Apfelkuchen. Wenn dann noch Zeit ist, greift sie gerne zum Buch. Zuletzt hat sie die Studie „Ungleich vereint“ von Stefan Mau gelesen, die sich mit Gesellschaft, Politik und Demokratie in Ostdeutschland beschäftigt.

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