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Pünktlich zum Jubiläum sind zwei empfehlenswerte Bücher über das Hamburger Chilehaus erschienen, in denen die expressionistische Backsteinikone des Architekten Fritz Höger aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und gewürdigt wird.
Der Kunsthistoriker Christoph Schulz-Mons lädt in seinem kleinen, aber feinen Werk zu einem Spaziergang rund um das Bauwerk ein. Dabei stehen dessen künstlerische Merkmale im Fokus seiner Betrachtungen. An 15 Stationen macht er die Besonderheiten des Baukörpers greifbar: Im Innenhof an der Fischertwiete lassen sich die verbauten „misslungenen“ Klinker dritter Wahl erfühlen, die Fritz Höger als „Dreck“ bezeichnet hat, von dem er nicht wisse, was er daraus machen solle. Am Ende zauberte er daraus ein Kunstwerk! Im vermauerten Zustand verleihen gerade diese unvollkommenen Steine dem Bau seine Lebendigkeit. An vielen Stationen gibt es Bauornamentik – Klinkerstickerei – und allegorische Plastiken des Keramikkünstlers Richard Kuöhl zu entdecken. Vor allem an der Nordseite im Fußgängerbereich findet sich davon reichlich – unter anderem thront dort ein Terracotta-Jüngling, der ein kleines Modell des Chilehauses in seinen Händen hält. Weiter geht‘s durch wunderbar gestaltete Foyers und Treppenhäuser, vorbei an Schildkröten und chilenischen Eidechsen – des Bauherrn Henry B. Slomans‘ Lieblingstier. An anderer Stelle macht der Autor auf die Besonderheiten der Baustruktur des damals so genannten „Wolkenkratzers“ aufmerksam und erläutert, auf welche Weise der dunkle Koloss in seiner Gesamtheit einem riesigen Ozeandampfer nachempfunden wurde. Ein gelungenes kleines Werk mit viel Erlebnispotenzial.
Der Autor und Lichtkünstler Michael Batz widmet sich in seinem attraktiv gestalteten und reich bebilderten Buch der Chronologie der Nutzung des Chilehauses. Im Mittelpunkt seiner aufwändig recherchierten Geschichten stehen die Firmen und Menschen, die an diesem Ort wirkten und wirken. Leerstand war selten ein Thema für die Eigentümer der Top-Immobilie. Die ausgezeichnete Lage in direkter Nähe zum Zollkanal lockte von Beginn an zahlreiche Geschäfte der Hafenwirtschaft und des Überseehandels an und wurde schnell zur begehrten Adresse einer eingeschworenen Hamburger Kaufmannschaft. Massen an Menschen strömten täglich durch die Eingänge A, B und C: „Ein Backsteingebirge am Zollkanal, ein Bienenkorb der Arbeit für Tausende, eine Festung des Merkantilismus, zuckend und surrend im Rhythmus der Telefone“, beschrieb der Hamburger Anzeiger das quirlige Treiben. Die Fluktuation war gerade in den ersten Jahren, infolge des verlorenen Krieges, Inflation und Arbeitslosigkeit, hoch. Die Schildermaler hatten viel zu tun. In Handarbeit beschrieben sie die riesigen Eingangstafeln mit den ansässigen Firmennamen. Bis heute hängen die alten Keramikschilder in den Foyers der Eingänge. Die Tafeln dienten Michael Batz als Inspiration für seine Recherchen: „… als Zeitfenster und Schlüssel zu einem ganzen Jahrhundert“. In seinen kurzweiligen Erzählungen nimmt der Autor seine Leserschaft mit in vergangene, teils dunkle Zeiten und führt sie bis in die Gegenwart. Dabei gelingt es ihm durch eine gelungene Bildauswahl sowie durch Zitate aus zeitgenössischen Quellen, historische Ereignisse nachzuempfinden. Nicht zuletzt enthält das Buch erst kürzlich entdeckte, verschollen geglaubte Bauzeichnungen aus der Planungsphase, die zum Teil aus Fritz Högers Hand stammen. Übrigens: Die einzige Firma, die seit hundert Jahren hier durchgängig ansässig ist, ist ein Waffengeschäft – dessen Handelsware scheint leider nie aus der Mode zu kommen …
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