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Viel Grün, idyllisch plätschernde Bäche, ein Park mit Badesee, ein großes Einkaufszentrum, ein Wochenmarkt, vier U-Bahnstationen und im Vergleich zu anderen Hamburger Stadtteilen noch günstige Mieten. Darüber hinaus sind rund 53 Prozent der Wohngebäude in Billstedt Einzelhäuser – mehr als in Blankenese. „Billstedts größtes Problem ist sein Image“, findet Ralph Ziegenbalg. Wie lebenswert der Stadtteil ist, zeigt der unternehmungslustige 56-Jährige bei einem Spaziergang an der Geestkante.
Mit Ralph Ziegenbalg durch Billstedt.
Der studierte Historiker Ralph Ziegenbalg arbeitet als IT-Fachmann und lebt mit seiner Frau, einer Architektin, seit 1996 in Billstedt. Hier sind auch die beiden Kinder des Paares aufgewachsen. Für den Start unseres Rundgangs hat unser Guide, der auch Vorsitzender der Billstedter Geschichtswerkstatt ist, die „Spökelburg“ ausgesucht, eine gelbe Villa an der Billstedter Hauptstraße. Hier, auf der Geestkante zwischen Bille und Schleemer Bach, wurde bereits im 9. Jahrhundert ein Verteidigungswall aufgeschüttet, der heute noch gut erkennbar ist. Eine dort errichtete Burg, von der nur wenige Fragmente erhalten sind, diente zur Absicherung der in dieser Zeit gegründeten Stadt Hamburg.
1875 bezog der Fabrikant Louis Georg Carl Ullner mit seiner Familie seine neu erbaute Villa oben auf dem Hügel. Nur ein Jahr später eröffnete er in Sichtweite seines herrschaftlichen Anwesens eine mit Dampf betriebene Farbholzmühle. „Schiffbeks erste Fabrik“, weiß Ziegenbalg. Eine Legende besagt, dass auf dem Gelände der „Spökelburg“ vor Jahrhunderten ein Schatz vergraben worden sei. Mehrere Suchen nach dem verschollenen Silber blieben allerdings erfolglos.
Unsere eigene Schatzsuche heben wir uns für einen späteren Termin auf. Stattdessen überqueren wir am Rotebrückenweg die Billstedter Hauptstraße und laufen mit unserem Begleiter durch eine hügelige, lang gezogene Parkanlage. Der Verkehrslärm der Hauptstraße ist hier kaum noch zu hören. Wir lauschen dem Gesang einiger Vögel, die den nahenden Frühling ankündigen und amüsieren uns über ein Eichhörnchen, das uns frech den Weg abschneidet und einen Baum hinaufflitzt. „Billstedt bietet nicht nur viel Grün, sondern auch viel Wasser“, erzählt Ralph Ziegenbalg. Neben dem namensgebenden Fluss Bille gebe es den beliebten Badesee im Öjendorfer Park, dem drittgrößten Park Hamburgs, außerdem die Glinder Au, den Jenfelder Bach sowie den Schlemer Bach an dessen Ufer wir gerade entlang spazieren.
Im Bereich der Kapellenstraße passieren wir ruhige Querstraßen mit gepflegten Einzelhäusern in unterschiedlichen Baustilen. Genauso individuell wie die Architektur sind offensichtlich auch die Interessen der Bewohner: Eines der Häuser ist mit einer riesigen Regenbogenflagge geschmückt. Ein Stück weiter lagern Nachbarn in ihrem Wintergarten große Schilder einer Anti-AfD-Demo. Am lang gezogenen Mehrenskamp flanieren wir durch eine Reihenhaussiedlung mit interessanten Bauhauselementen über den Eingangstüren, eine Siedlung mit zweigeschossigen, weißen Mehrfamilienhäusern aus der Nachkriegszeit und betrachten Wohnblocks der Fritz-Schumacher-Ära, gebaut mit dem typischen roten Backstein dieser Zeit.
Billstedt ist ein noch junger Stadtteil. „Die Dörfer Öjendorf, Schiffbek und Kirchsteinbek wurden erst 1927 zur Gemeinde Billstedt zusammengefasst“, berichtet Ralph Ziegenbalg. An der Ecke Steinbeker Hauptstraße betrachten wir einen Moment die neogotische Fassade der Steinbeker Kirche. Schließlich biegen wir ab in die Straße Sonnenland und werfen dort einen Blick auf die gleichnamige Hoch- und Mehrfamilienhaussiedlung, die lange Zeit als sozialer Brennpunkt galt. Seit 2008 werden die in den 1960er-Jahren erbauten Mietshäuser blockweise saniert. Ursprünglich waren alle Wohnungen der Siedlung durch Förderung im Sozialen Wohnungsbau in der Mietpreisbindung. 2015 galt dies nur noch für ein Viertel der Wohnungen.
Ob Ponyreiten, Minigolf spielen oder mit dem Schlitten den Rodelhügel hinabsausen. Der Öjendorfer Park bietet das ganze Jahr über viel Spaß im Grünen. An warmen Tagen werden auf den Rasenflächen Picknickkörbe ausgepackt, Grillfeuer angezündet oder spontane Fußballturniere ausgetragen. Es gibt große Liegeflächen und einen Sandstrand, wo man am Ufer des Parksees in der Sonne liegen kann. Aber auch Schwimmer kommen auf ihre Kosten – schließlich ist der Öjendorfer See zwei Mal so groß wie die Binnenalster. „Unser Park ist ein super Naherholungsgebiet, das nicht nur die Billstedter gerne nutzen“, verrät unser Tourguide.
Auch kulturell hat Billstedt einiges zu bieten. So ist der Kultur Palast weit über Billstedts Grenzen hinaus bekannt. Das Veranstaltungszentrum hat sich von einer 1980 gegründeten Bürgerinitiative zum beliebten Kulturunternehmen gemausert. In den ersten Jahren wurde das Programm noch in einem kleinen Laden ohne Heizung und Strom angeboten. Heute werden Konzerte, Kurse, Projekte und Gastronomie in einem schicken, ehemaligen Wasserwerk am Öjendorfer Weg angeboten. Besonders die musikalische Nachwuchsförderung sowie das Thema Integration bilden Schwerpunkte im Kalender. Dank eines Sozialprojekts und dem Engagement zahlreicher Bürger und Vereine, wie der Stiftung Kultur-Palast, habe sich die Lage im gesamten Billstedter Raum deutlich zum Besseren entwickelt. Und das, oder gerade, weil in diesem Stadtteil Menschen aus rund 130 Nationen überwiegend friedlich zusammen leben. „Es ärgert mich, dass Billstedt in den Medien immer so negativ dargestellt wird“, so Ralph Ziegenbalg. Die Statistik zeige in anderes Bild. „Tatsächlich hat die Kriminalität in Billstedt abgenommen und liegt seit einigen Jahren sogar deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt“, betont unser Begleiter.
Ein anderes langjähriges Ärgernis im Stadtteil sei die chaotische Situation an der zentralen Kreuzung Billstedter Hauptstraße, Ecke Schiffbeker Weg, die auch Entree und Visitenkarte des Stadtteils ist. Ideen zur Verbesserung gab es bereits viele. Sie reichten von einer „Protected Intersection“ genannten geschützten Kreuzung nach niederländischem Vorbild bis zum Bau eines Tunnels. Passiert ist bislang jedoch nichts. Die längst überfällige Umgestaltung dieses Bereichs könnte auch das Schmuddel-Image dieses Gebiets beseitigen und den Stadtteil deutlich aufwerten. Davon sind sowohl Ralph Ziegenbalg als auch viele seiner Nachbarn fest überzeugt.
(Quellen: Statistikamt Nord, Gymnasium Ohmoor)
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